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Die zunehmende Industrialisierung verlangte neue und höher qualifizierte Berufe auf breiter Front. Neue Ausbildungsgänge entstanden, neu gegründete Fachschulen, etwa für Landwirtschaft und Technik, Forst- und Bergakademien gewannen stärkere Bedeutung. Sie waren Vorläufer der heutigen Technischen Universitäten und Fachhochschulen. Auch an diesen neuen Instituten bildeten sich bald Studentenbünde, die traditionelle Verbindungsformen übernahmen. An den Gymnasien und Oberrealschulen formierten sich Schülerverbindungen.
Die „Alten Herren“ trugen die studentische Kultur offen in das bürgerliche Leben hinein. So gewannen ihre Sitten zunehmend Einfluss auf Sprache und Gewohnheiten der deutschen Bevölkerung. Studentische Ausdrücke wie „Kneipe“, „Bursche“, auch Redensarten wie „anpumpen“, „eine Abfuhr erteilen“, „in Verruf kommen“ wurden Teil der Umgangssprache. Es kam in Mode, studentische Sitten nachzuahmen. So wurde sogar in den 1870er Jahren für die Schüler weiterführender Schulen nach dem Muster der Studentenmützen so genannte Schülermützen eingeführt, die die Schüler nach Schule und Klassenstufe klassifizierten – auch ohne jede Verbindungszugehörigkeit.
Die Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse ermöglichte nun auch daas Aufleben des bürgerlichen Vereinswesens. Es gründeten sich die vielfach noch heute existierenden Turn- und Gesangsvereine, die auch bald Kommerse und Stiftungsfeste feierten.

Selbst für die Söhne regierender Adelshäuser (Preußen, Württemberg, Baden, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Coburg-Gotha, Schaumburg-Lippe etc.) wurde es nun opportun, in einer Studentenverbindung zu sein. Dafür kamen allerdings nur nach bestimmten Kriterien ausgewählte Corps in Frage.

2.5 Die Kaiserzeit

Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 erfüllte zwar nicht alle, aber einige Forderungen des Bürgertums, besonders der Burschenschaftsbewegung: vor allem die Einheit Deutschlands und eine gemeinsame Reichsverfassung. Allgemeine Menschen- und Bürgerrechte wie das freie Wahlrecht, Versammlungs- und Redefreiheit blieben weiterhin stark eingeschränkt.
Das Kaiserreich wurde vom Großbürgertum und Adel beherrscht und geprägt. Deren politische Ziele glichen sich stark an. Die Verbindungsstudenten gehörten nun zur etablierten Führungsschicht und stützten diese. Ihre Mitglieder besetzten höchste Positionen im Staat: So waren Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm II. zu ihrer Studienzeit Corpsstudenten.
Die Industrialisierung ließ nun auch in der Arbeiterschaft eine politische Kraft entstehen: Sie organisierte sich seit etwa 1860 in Gewerkschaften, seit 1871 in der neugegründeten SPD. Auch dort spielten einige Verbindungsstudenten wie Karl Marx, Wilhelm Liebknecht und Ferdinand Lassalle eine hervorragende Rolle.
Dennoch sahen die Arbeiter die Studentenverbindungen überwiegend als Gegner, da diese die konservativ-nationalen Ideen und Ziele des Bürgertums verkörperten. Diese Konstellation besteht bis heute: Vertreter des linken politischen Spektrums kritisieren das gesamte Verbindungswesen oft scharf.
Der Antisemitismus der Zeit ergriff auch Studentenverbindungen. Reaktionen auf den Antisemitismus und das Ausmaß des Antisemitismus in Verbindungen unterschieden sich dabei von Dachverband zu Dachverband und von Verbindung darin zu Verbindung; auch veränderte sich in einem Dachverband die Ansicht zum Antisemitismus häufig im Laufe der Jahre mehrmals. Erstmals 1817 gab es Ausgrenzungen von Juden, die in der Zeit um 1880 nochmals eine Spitze erreichten. Dennoch waren auch bedeutende Juden immer wieder in der Korporationsszene anzutreffen, beispielsweise den Burschenschafter Theodor Herzl. Der verließ die Verbindung allerdings nach nur drei Jahren, noch vor Beendigung seines Studiums, wegen antisemitischer Äußerungen anderer Verbindungsstudenten wieder. Ein ursprünglich betont antisemitisch gegründeter Dachverband war der VVDSt.